sábado, 7 de janeiro de 2012

Ein Gespräch mit Joseph Beuys (1985)


Joseph Beuys (1921-1986), Jannis Kounellis (*1936),
Anselm Kiefer (*1945), Enzo Cucchi (*1950), »Ein Gespräch«

Die folgende Diskussion zwischen vier europäischen Künstlern schreibt eine bestimmte Linie moderner Kunsttheorie fort, die schon immer versucht hat, radikale Kunst und radikale Politik zwar aufeinander zu beziehen, dabei aber nicht die eine in der anderen aufgehen zu lassen. Dieses Projekt ist auf denkbar verschiedene Weisen formuliert worden, aber ein politischer Utopismus und die Tendenz, eine Veränderung von Bewußtsein und Gefühl als Voraussetzung konkreter Wirklichkeitsveränderung anzu-nehmen statt umgekehrt, gehören zu seinen langlebigsten Denkmotiven. Das Gespräch wurde am 4./5.6. und 28729.10.1985 in der Kunsthalle Basel geführt und von Jean-Christophe Ammann moderiert. - Ein Gespräch: Joseph Beuys. Jannis Kounellis. Anselm Kiefer. Enzo Cucchi, hrsg. von Jacqueline Burckhardt, Zürich: Parkett, 1986, Zürich: Parkett / Ostfildern: Cantz, 41994, S.158-162, 167-170.


Dienstag vormittag [29. 10. 1985]

***
KIEFER: Für mich gab es immerzu Menschen, die reduziert, und solche, die weniger reduziert waren, und dann hochgeistige Menschen, durch alle Zeiten und Kulturen hindurch.

BEUYS: Du sprichst jetzt von einem individuellen, menschlichen Schicksal. Es werden natürlich in Zukunft auch weiterhin Kranke und Blinde leben. Und es wird weiterhin alle verschiedenen Höhen von Fähigkeiten geben. Aber es werden alle Fähigkeiten entwickelbar, das Niveau wird gesteigert werden.
KOUNELLIS: Ja, aber die Kathedrale von Köln weist auf eine Zentralität hin, umfaßt eine Kultur und weist auf die Zukunft. Sonst würden wir riskieren, Nomaden zu werden.
BEUYS: Die Kathedrale von Köln ist eine schlechte Skulptur. Sie wäre gut als Bahnhof. Chartres ist besser. Aber was Kounellis von der Kathedrale sagt, ist ein schönes Bild. Wir müssen eine Kathedrale bauen!
KOUNELLIS: Ganz genau.
BEUYS: Die Kathedrale steht jetzt hier unter uns. Die alten Kathedralen stehen irgendwo in einer Welt, die noch rund war. Aber dann wurde die Welt durch den Materialismus reduziert. Es war aber eine innere Notwendigkeit, sie so zu verengen, denn dadurch wurde das menschliche Bewußtsein geschärft, ganz besonders in seiner analytischen Tätigkeit. Jetzt müssen wir eine Synthese vollziehen mit all unseren Kräften, und das ist die Kathedrale.
KIEFER: Ich habe ein unheimlich ungutes Gefühl, wenn Beuys meint, daß sich alle Menschen verändern würden, wenn man einen Begriff verändert. Es gab doch immer solche und andere.
BEUYS: Das ist doch selbstverständlich. Es handelt sich doch um die Anhebung des Niveaus auf allen Gebieten. Wir haben doch festgestellt, daß das Niveau so niedrig ist wie noch nie in der Geschichte. Man soll nur mal schauen, wie sich die Menschen in ihren Wohnungen einrichten. Noch nie haben sie so unwürdig gewohnt.

KIEFER: Das sagen wir jetzt. Aber Du weißt ja nicht, was die Leute in hundert oder sogar fünfzig Jahren sagen.
BEUYS: Die Leute werden es dann erkennen und das Zeug in den Müll werfen. Das tun sie jetzt schon. Nach einem halben Jahr werfen sie die Sachen weg und kaufen sich etwas Neues. Die Leute sind in diesen Wohnungen todunglücklich. Dabei ist das menschliche Wohnen einer der wichtigsten und elementarsten Ausdrücke ihres Kunstsinnes. Der ästhetische Sinn ist heute, wie nie in der Geschichte, gestört. Also bauen wir die Kathedrale!
KOUNELLIS: Eben. Dieser Exzeß des Nomadismus und dieser Exzeß der Ablehnung der Kultur schaffen eine absurde Situation.
KIEFER: Das Niveaugefälle ist mir klar. Aber das letzte Mal haben wir uns gefragt, weshalb ein unverdorbener primitiver Eingeböfenflf, wenn er seine Plästikschüssel erhält, die seine sofort wegwirft.

BEUYS: Sie sind verführbar geworden, weil die alten Stammeskulturen für unsere Zeit nicht mehr gelten. [...] Es wäre besser, diese Menschen würden sich entwickeln können. Aber natürlich werden diese Menschen dem Kapitalismus unterworfen und sterben auch meistens daran. Das kann man am baskischen Problem z.B. sehr gut sehen. Die Basken sind wohl der zurückgelassene Rest irgendeines nomadischen Volkes. Es gibt tausend Theorien, daß sie aus Asien kamen und vielleicht durch die Bestrafung des Stammesfürsten zurückgelassen wurden. Nun sitzen sie da und versuchen immer wieder, ihre alte Stammeskultur aufrechtzuerhalten. Aber sie haben keine eigene Literatur entwickelt, alles geht über die orale Tradition. Jetzt stellen sie mit Recht ganz bestimmte Forderungen.


AMMANN: Warum führst Du dieses Beispiel der Basken an?
BEUYS: Ich führe das Beispiel an, weil das Umfeld der EG, in dem die Basken sich befinden, den Machenschaften des Systems der westlichen Geldwirtschaft entspricht. D.h. die spanische Regierung gibt den Basken keine Autonomie, und deshalb entsteht ein Problem - wie in Nordirland. Ich habe in Spanien den Vorschlag gemacht, man solle den Basken die volle Autonomie geben.

Die Spanier meinen, daß die Basken dann verkommen würden, weil sie keine eigene Kultur hätten. Ich habe aber dann gesagt, die hätten wohl schon allein dadurch eine Kultur, daß sie die Absicht zur Selbstverwaltung hätten. Unter Umständen wäre es sogar möglich, daß dieses Volk, genau wie wir hier am Tisch, ein Konzept für seine eigene Wirtschaft entwirft, das für viele Leute modellhaft sein könnte. Wenn man den Basken die Selbstbestimmung gäbe, dann wäre das mit Sicherheit etwas ganz anderes. Das wäre doch eine große Chance, etwas Modellhaftes zu entwickeln, das wir wie ein Kunstwerk betrachten könnten. Wir könnten uns dann unter Umständen mit ihnen zusammensetzen und etwas Modellhaftes für die ganze Welt entwickeln.

CUCCHI: Die Methode der Basken ist interessant, weil sie den Terrorismus benützen. Ich weiß nicht, wohin uns der Terrorismus führt.
BEUYS: Der Terrorismus führt nicht zur Lösung der Frage. Er führt uns zu einem ganz langweiligen, konservativen Gesellschaftssystem.
CUCCHI: Nein, das habe ich nicht gemeint. Ich frage mich nur, welche Gefühle heute dem Terrorismus innewohnen, was die Form des Terrorismus sei. Sowohl die Basken wie auch die Nordirländer benutzen diesen Codex.

***
KOUNELLIS: Innerhalb von Europa gibt es sehr viele Völker, die unabhängig sein wollen, z.B. die Sizilianer, die Sarden, die Korsen u.a.
BEUYS: Das ist doch positiv.
KOUNELLIS: Ja, das ist positiv. Aber es ist auch sehr positiv, über die Kathedrale von Köln zu sprechen, glicht nur diejenigen, die sich abtrennen wollen, sind positiv.

BEUYS: Die Kathedrale von Chartres ist dann positiv, wenn man feststellt, daß solche Selbständigkeitsbestrebungen an ein anderes System heranführen, damit die Korsen, Sarden, Basken, Irländer und Schotten überhaupt eine Kathedrale bauen können. Sie dürfen aber nie die Machenschaften des Kapitalismus kopieren. Ich bin überzeugt, daß die Basken das richtig machen. Bei den Schotten bin ich nicht so sicher. Man muß doch an einem kleinen Kern anfangen und in eine übersichtliche Menschengemeinschaft ein anderes Prinzip bringen. Die Idee der Kathedrale bedeutet ein anderes Verständnis von Kultur, Recht, Geist, Wirtschaft usw. Wenn die Spanier den Basken die Autonomie geben würden, dann würde ich sogleich dahin gehen, und die Basken würden sagen, wir brauchen nichts dringender als solche Gespräche. Denn alles muß auf neuen Fundamenten errichtet werden. Wir wollen nicht das kopieren, worunter wir jahrhundertelang gelitten haben. Wir wollen das jetzt ganz auf einen neuen Boden stellen, auf den Boden der Kunst. Sie wollen den Gesellschaftskörper als ein Kunstwerk haben.

Der Terrorismus verhindert aber diese Bestrebungen, denn er gibt den größeren Staaten und Mächten neue Argumente, immer mehr Polizei einzusetzen, ein Militärstaat zu werden. Der Kapitalismus ist ja glücklich, den Terrorismus zu haben. Der wird vom Kapitalismus künstlich gezüchtet.

***
BEUYS: In bezug auf den erweiterten Kunstbegriff bin ich auf der Suche nach dem Dümmsten. Und wenn ich den Dümmsten, der auf dem allerniedrigsten Niveau ist, gefunden habe, dann habe ich sicher den Intelligentesten gefunden, den potentiell am meisten Vermögenden. Und der ist Träger der Kreativität. Die sogenannte Intelligenz, die sich die Leute wie ein Messer in den Kopf stecken, ergibt nur ein vordergründiges Bild, und diese Intelligenz muß zerstört werden. Die Dumpfheit muß beteiligt werden, denn in ihr existieren doch alle anderen Kräfte, wie ein wilder Wille, ein irres Gefühls¬leben und vielleicht ein ganz anderes Erkennen. Vielleicht leben die schon im Himmel.
KIEFER: Das ist eine persönliche Idee von Dir, Beuys.


BEUYS: Nein. Das geht über meine Person hinaus. Meine Person ist vollkommen uninteressant. Ich versuche nur, Kräfteverhältnisse in der Welt darzustellen, die heute so sind, wie sie sind, und morgen anders sein müssen. Und ich versuche, das an Beispielen klarzumachen.

***
BEUYS: [...] Wir sprechen hier doch nicht zusammen, um unser Verhältnis, das sowieso gut ist, zu verbessern. Wir sind hier, um die Kathedrale zu bauen.
KOUNELLIS: Die Konstruktion der Kathedrale ist die Konstruktion der sichtbaren Sprache.
BEUYS: Das ist ein wichtiges Detail. Heute ist aber alles möglich, und so kommt die Kathedrale nicht zustande. Wir haben uns geeinigt, eine Kathedrale bauen und zu einer wirklichen Menschenkultur kommen zu wollen. Aber wie diese Kathedrale aussehen soll und aus welchem Material sie gebaut wird, darüber haben wir keinen Konsens.


KOUNELLIS: Beuys hat schwer gelitten, mehr als wir alle. Das ist ein Gefühl, das ich habe, denn er hat ein Mißtrauen, grundsätzliche Dinge mit Offenheit zu diskutieren.
BEUYS: Offenheit ist natürlich auch ein bißchen ein veralteter Begriff. Viele Menschen finden sich sehr fortschrittlich und auf der Höhe, wenn sie von der sogenannten Offenheit sprechen. Aber die Offenheit muß natürlich zu einer präzisen Bestimmtheit werden. Sonst ist die Offenheit nichts anderes, als daß alles möglich ist. Ich sage aber, es ist fast nichts Möglich. Für1 die Disponilität eines jeden menschlichen Gesichtspunktes muß man ein Wahmehmungsorgan haben. Aber wenn man zu einem Konsens kommen will, muß aus der Offenheit eine ganz bestimmte Form werden, eine Verdichtung, und die ist das entgegengesetzte Bild zur Offenheit. Die Offenheit ist auch ein Propagandawort. Wir sind mit diesem Wort verführt worden. Man sprach von Offenheit, von pluralistischer Gesellschaft, d.h., daß alles im Grunde möglich ist; und man wollte nur ja keine speziellen Wege und Prinzipien, denn die verlangen eine präzise ausgearbeitete Form.
KOUNELLIS: Wir sind aber Individuen die sich nicht beeinflussen lassen.


BEUYS: Die Offenheit soll menschlich, anthropologisch auf das Individuum bezogen sein; offen für das, was der andere meint.
KOUNELLIS: Wir reden von einer Offenheit im Inneren von Europa, wo sich die Kulturen sehr nahe sind, trotz der Unterschiede.
BEUYS: Die heutige Kultur ist aber gerade nicht geprägt durch die gotischen Dome, sondern durch ein führendes Wirtschaftssystem, das die Kunst an die Peripherie oder in die Nicht-Existenz gedrängt hat. Und wenn jetzt das ganze System bankrott geht, weil die Wirtschaftskultur auf falschen Füßen steht, gibt es für die Kunst wieder die große Chance, eine echte Kultur in allen Zusammenhängen aufzubauen und nicht ein reduktionistisches Gebilde. Ich wehre mich einfach dagegen, daß dieses Mikrophon, das hier vor uns auf dem Tisch steht, nicht zur Kultur gehören soll.


KOUNELLIS: Solange das Mikrophon so auf dem Tisch steht, kann es nicht zur Kultur gehören. Wenn Beuys es aber auf den Filz stellt, dann wird es Teil der Kultur. Denn Beuys hat die Macht, das Mikrophon in Kultur umzuwandeln.
BEUYS: Aber die Macht nützt nur mir, das führt zurück auf mein individuelles Tun und nicht zur Kathedrale.
KOUNELLIS: Nein, das nützt allen, und das hat auch mit der Kathedrale zu tun.

***
BEUYS: [...] In bezug auf die Kunst als dem alleinigen Mittel, um die Kathedrale zu bauen, brauche ich doch die gesprochene Sprache.
KIEFER: Bevor der Künstler gestorben ist, kann man nicht vollständig feststellen, was er auf der ganzen Breite mit seinem Werk gemeint hat. BEUYS: Ich kann doch aber sagen, wie ich es gemeint habe.
KIEFER: Das, was Du dazu gesagt hast, ist aber nur ein kleiner Teil der wirklichen Tragweite.
BEUYS: Das stimmt doch gar nicht, daß der Künstler erst nach seinem Tode zum Sprechen kommt. Aber vielleicht ist das wahr, daß der tote Künstler besser als der lebende ist.

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