sábado, 3 de dezembro de 2011

Interview mit Prof. John C. G. Röhl - "Wilhelm II"




Damals meinte Thomas Mann sei der Kaiser ein “dekoratives Talent”. Diese politische Neigung zum “Representieren” für die Medien war schon sehr moderne an ihm, bzw. die Politik als Spektakel. Wie versuchen Sie seine historische Rolle in der Verkettung der Erreignisse im Sommer 1914 neu zu bewerten?



John Röhl - Kaiser Wilhelm II. war in der Tat ein äusserst „dekorativer“ Monarch, immer in der imposanten Uniform zu sehen, oft zu Pferd, umgeben von seinen hochgewachsenen Flügeladjutanten. In diesem Sinne verstand er wohl das Verlangen der modernen Massengesellschaft nach Glanz und Gloria und versuchte, diese Neigung der Menschen für die Popularität der Monarchie auszunutzen.

Vollkommen „unmodern“ war dahingegen seine quasi-absolutistische Auffassung der Rolle eines Monarchen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Seine zahlreichen Reden, in denen er unaufhörlich sein Königtum von Gottes Gnaden – „Einer nur ist Herr im Reich, und das bin ich“; „Herrlichen Tagen führe ich Euch entgegen“, „suprema lex regis voluntas“, usw. – verfehlten völlig den Geist der Zeit. Alle Staatsmänner, Diplomaten, Generäle, Parteiführer, Journalisten, fremde Beobachter sagten schon bald nach der Thronbesteigung Wilhelms (1888) den Untergang der Hohenzollermonarchie unter diesem Kaiser voraus. Millionen stimmten für oppositionelle Parteien wie die SPD, die nicht nur republikanisch sondern marxistisch war. Aber auch in der Oberschicht und im Bürgertum nahm Wilhelms Unbeliebtheit massiv zu. 1917 schreibt ein hoher Staatsbeamter von der „erschreckenden Unpopularität des Kaisers“.


Kaiser Wilhelms II. Rolle in der Politik ist seit Jahrzehnten unterschätzt worden. In dem jetzt erschienenen zweiten Band meiner Biographie (deutsche Ausgabe 2001, englische Ausgabe 2004)
habe ich genau aufzeichnen können, wie der junge Monarch im Lauf der 1890er Jahre die enorme Macht, die Bismarck für sich angesammelt hatte, langsam aber sicher an sich reissen konnte. Diese Macht war besonders stark in der Personalpolitik – alle Staatsmänner und Militärs wurden von ihm persönlich ernannt – und im militärischen Bereich, wo er seine „Kommandogewalt“ als Oberster
Kriegsherr ohne verfassungsmässige Einschränkung ausüben konnte.
In der Julikrise 1914 war er nicht der Hauptkriegstreiber. Das waren anfangs der Reichskanzler von Bethmann Hollweg, der Unterstaatssekretär Arthur Zimmermann und einige wenige andere. In der letzten Woche vor dem Kriegsausbruch nahmen die Generäle Erich von Falkenhayn und Helmuth von Moltke das Heft in die Hand. Der Kaiser wurde von diesen Leuten zum Teil manipuliert und hinters Licht geführt. Drei Tage lang, vom 28. bis 30. Juli 1914, wurde er etwas schwankend. Aber er war von Anfang in die Ziele der Reichsleitung und der Generäle, einen Krieg gegen Russland und
Frankreich unter vermeintlich fabelhaften Bedingungen auszulösen, eingeweiht. Als Kaiser, König von Preussen und Oberster Kriegsherr musste er alle wichtigen Entscheidungen gutheissen und
verantworten. Zum Schluss hat er mit feuchten Augen des Stolzes die Mobilmachungsorder gegen Russland und Frankreich unterzeichnet. Allein der britische Kriegseintritt und die Weigerung Italiens, an Deutschlands Seite in den Krieg zu treten, hat sein und Bethmann Hollwegs Konzept verdorben.

Wie beurteilen Sie die These vom „Dreißigjährigen Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts“, der zufolge der 1. und 2. Weltkrieg in einem engen Zusammenhang gesehen werden müssen?




John Röhl - Der deutschen Führung ging es im Ersten Weltkrieg um die Beherrschung des europäischen Kontinents vom Atlantik bis weit in das damalige Russland hinein. Seit der Arbeit des Hamburger Historikers Fritz Fischer in den 1960er Jahren bestehen über die weitreichenden Kriegsziele des Kaiserreichs keine Zweifel mehr. Vor allem das sogenannte September-Programm Bethmann Hollwegs vom Herbst 1914 zeigt die Ziele im West und Osten im Detail auf. Diese Ziele haben unverkenbar eine grosse Ähnlichkeit mit den territorialen Ziele, die Hitler im Zweiten Weltkrieg durchzusetzen suchte.

In diesem Sinne kann man den Zweiten Weltkrieg durchaus als
eine Wiederaufnahme des nicht erfolgreichen Ersten Weltkrieges verstehen, wenn auch Hitlers Reich in anderer Beziehung – ich denke hier vor allem an seine rassistische Vernichtungspolitik den
Juden und anderen gegenüber – eine Radikalität entwickelte, die im Ersten Wektkrieg (noch) nicht zu sehen war.

Im September 1940 schrieb Kaiser Wilhelm II. an einen amerikanischen Freund:
Hitlers Krieg sei „a succession of miracles. ... The brilliant leadings Generals in this war came from My school, they fought under my command in the [First] Worlds War as lieutenants, captains or young majors. Educated by Schlieffen they put the plans he had worked out under me into practice along the same lines as we did in 1914.”



Die Deutschen haben lange gebraucht, um das Trauma der Niederlage von 1945 und die traumatische Erfahrung ihrer Begeisterung für Hitler zu überwinden oder zumindest aufzuarbeiten. Kann man heute sich wieder besser mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen?



John Röhl - In diesem Sommer haben die Deutschen den Ersten Weltkrieg in einem Masse gedacht wie nie zuvor und weit intensiver als die Franzosen oder Engländer. Der 90. Jahrestag des
Kriegsausbruchs 1914 ist in Deutschland zum Anlass genommen worden, in unzähligen Ausstellungen, Zeitungsartikeln, Büchern, Fernsehdokumentationen und Rundfunksendungen die Ursachen dieses schrecklichen Krieges und die furchtbaren technischen Entwicklungen, die er hervorbrachte, genaustens darzulegen. Hier in Grossbritannien ist der Jahrestag kaum beachtet worden. Nur vier Kriegsteilnehmer (ihr Alter lag zwischen 104 und 108) nahmen in Whitehall an der Gedenkfeier teil.

Seit Verdun führte der systematische Einsatz der Technologie auf dem Schlachtfeld zur Hölle der Massenvernichtung, zum “Totalen Krieg” als eine "Materialschlacht", in dem der Mensch als "Blutpumpe" benutzt wurde. Es geht nicht den Feind zu besiegeln oder an den Verhandlungstisch zu zwingen im Clausewitzs Sinne, aber ihn total und für immer zu vernichten. Wie entsteht dieser Begriff und was sind seine Folgen in unserer Gegenwart?


John Röhl - Ich teile nicht die Ansicht, dass der Krieg sich gewissermassen verselbständigt hat, d. h.zum Selbstzweck wurde. Die politischen Ziele, die man sich vorgenommen hatte, blieben
vorherrschend. Sie konnten jedoch nur durch den Sieg über den Feind erreicht werden, und das brachte auf beiden Seiten eine erschreckende Eskalation der Grausamkeiten mit sich. Im Winter
1917 signalisierten die Bolschewiken ihre Bereitschaft, die deutschen Friedensbedingungen anzunehmen; am 3. März 1918 unterzeichnete Trotzki auf Befehl Lenins den „vergessenen“ Frieden
von Brest-Litowsk,

durch den das Deutsche Kaiserreich seine Kriegsziele im Osten, die bereits 1914 in der September-Denkschrift Bethmann Hollwegs angedeutet waren, erreicht hat. Wären die Amerikaner nicht zur gleichen Zeit in den Krieg eingetreten, hätte Deutschland möglicherweise auch den Westen Europas unter seine direkte Kontrolle gebracht.

Wilhelm II., C. H. Beck, München 1993–2008:
Band 1: Die Jugend des Kaisers, 1859–1888 in der Google Buchsuche. München 1993, ²2001, ISBN 3-406-37668-1.
Young Wilhelm. The Kaiser's early life, 1859–1888 in der Google Buchsuche. Cambridge University Press, Cambridge 1998.
Band 2: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie, 1888–1900 in der Google Buchsuche. München 2001, ISBN 3-406-48229-5.
Band 3: Der Weg in den Abgrund, 1900–1941. München 2008, ISBN 978-3-406-57779-6.

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