quarta-feira, 27 de março de 2013

Die fröhliche Postmoderne (Milan Kunc) von Boris Groys

Heutzutage scheint kein anderes Kompliment so gründlich aus der Mode gekommen zu sein wie die Feststellung in bezug auf einen Künstler, sein Werk sei prophetisch. Trotzdem gibt es keine bessere Charakterisierung dessen, was dem zeitgenössischen Betrachter an den Arbeiten von Milan Kunc aus seinem Zyklus Ost Pop (1977-1980) am meisten auffällt: Sie sagen eine Entwicklung voraus, die heute weltweit offensichtlich ist, nämlich die Vermischung von Alltagssym­bolen aus dem Westen und solchen aus dem Osten. In den letzten Jahren der Gorbatschowschen Perestrojka gelangten äußere Merk­male des westlichen way of life auch im Leben der sowjetischen Groß­städte zunehmend zur Präsenz, während die westlichen Modedesi­gner die exotisch wirkende und in ihrem ideologischen Inhalt im Westen kaum decodierbare sowjetische Emblematik kommerziell zu verwerten begannen.

Oft wird dabei dieser Trend auf die Person Gorbatschows, seinen politischen Willen und die daraus entstandene neue Ost-West-Konstellation zurückgeführt. Der oben erwähnte Zy­klus von Milan Kunc, der allerdings zehn Jahren zuvor entstanden ist, zeigt aber, daß die entsprechenden neueren Entwicklungen ihren Ursprung nicht in der subjektiven Entscheidung einer politischen oder künstlerischen Persönlichkeit haben, sondern in der inneren Logik der Zeichen selbst, im immanenten Spiel ihrer Verwandtschaf­ten und Differenzen, die vom Künstler erkannt werden konnten - was deshalb seinem Schaffen eine prophetische Dimension verlieh.


© Milan Kunc

In seinen Installationen, Objekten, Fotocollagen und Performan- ces aus seinem Zyklus Ost Pop vermischt Kunc nämlich Symbole der westlichen kommerziellen Konsumwelt wie Coca-Cola-Flaschen, McDonald’s-Sandwiches oder TV-Sets mit sowjetischen oder chinesi­schen Hammer und Sichel-Zeichen, roten Sternen, Fahnen, Bildern verwandeln sich nicht wie bei den amerikanischen Pop-Künstlern in neue Ikonen, die so be­trachtet werden sollen, wie man sonst klassische museale Malerei oder religiöse Kunst betrachtet. Diese sinnlich-kontemplative Einstellung, die ein Zeichen nicht als Element eines Zeichensystems, sondern als ein von jedem möglichen Zeichensystem losgelöstes, autonomes Bild er­scheinen läßt, ist Kunc völlig fremd. Deshalb kann sein Ost Pop keines­wegs als eine einfache Übertragung des Verfahrens der Pop Art auf einen neuen Objektbereich gedeutet werden. Die östliche ideologisch geprägte und asketische Ikonographie erfordert ein ganz anderes Zei­chenverständnis als die auf Sinnlichkeit und erotische Verführung ab­zielende westliche kommerzielle Werbung. Ost Pop bedeutet deswegen in erster Linie die Arbeit mit einem anderen - eben östlichen - Zeichen- und Kunstverständnis, was auch bei Kunc notwendigerweise die Öko­nomie seiner eigenen Arbeiten stark prägt und ändert.



...and tomorrow the whole World...
(East-Pop) © Milan Kunc


Die Bilderwelt der östlichen kommunistischen Ideologien ist, wenn man sie mit der Bilderwelt des westlichen Alltags vergleicht, arm und besitzt keine unmittelbare Anziehungskraft. Kommunisti­sche Plakate, Losungen, Aufrufe und Symbole sind schlicht, mo­noton, langweilig: Sie springen nicht ins Auge, sie bleiben fast unbe­merkbar, trotz ihrer Allgegenwärtigkeit. Oft meinte man auch im Osten zu unrecht, daß sie deswegen auch nicht effektiv genug sind, und machte Vorschläge, wie die visuelle Propaganda mit künstleri­schen Mitteln verbessert werden könnte. Solche Vorschläge scheiter­ten immer, und ihr Scheitern war nicht zufällig. gut gemaltes christliches Bild jemals als eine wundertä­tige Ikone verehrt worden ist.

Club der Avantgardisten. Perfomance in Moscow, 1988.

Jeder Bürger des Ostblocks war inmitten der herrschenden Ideologie aufgewachsen; ihr Weltbild, ihre Sprache mit allen ihren möglichen Nuancen und Zwischentönen, ihre Orientierungspunkte und Idiosynkrasien waren dort allen so gut vertraut, daß diese Ideologie zum Selbstverständ­lichsten, fast zum Unbewußten jedes Einzelnen geworden war. Für eine solche Ideologie mußte man nicht wirklich werben, sie brauchte nicht zu verführen. Ganz im Gegenteil war jeder Versuch, sie zusätz­lich sprachlich oder visuell interessant zu machen, eher blasphe- misch, weil ein solcher Versuch der selbständigen Wirkung der Ideo­logie offensichtlich nicht vertraute, sondern sie von etwas ihr Äußerli­chem indirekt abhängig machen wollte. Es wurde schon einmal be­merkt, daß kein


Alexander Kosolapov, Gorby, 1991

Die visuellen Zeichen der kommunistischen Ideologie bezeichnen direkt und unmißverständlich die entsprechenden Inhalte, ohne durch Schönheit oder Ausdruckskraft abzulenken. In dieser ihrer würdevollen Schlichtheit setzt Kunc diese Zeichen in seinen Arbeiten ein: Sie behalten dort ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten ideo­logischen Sprache. Auf dem gleichen Niveau funktionieren bei Kunc auch die Zeichen des westlichen Konsums. Für den Osten, wo zumin­dest zur Zeit des Entstehens des Zyklus Coca-Cola oder McDonald’s ihrem Geschmack nach kaum vertraut waren, spielen die entspre­chenden Zeichen auch eine rein abstrakte, ideologische Rolle als Zei­chen des Westens, des Feindes, des Teufels. Aus der östlichen Per­spektive funktionieren die Arbeiten von Kunc als eine unerträgliche und provozierende Vermischung von sakralen Zeichen aus zwei ent­gegengesetzten ideologischen Welten - als eine Profanierung, eine unerhörte Blasphemie, eine schwarze Messe.


Sun City © Milan Kunc

Der Effekt ist freilich nicht mehr so eindeutig, sobald man die' Ebene der reinen Ideologie verläßt und ihren Stellenwert in den öst­lichen Gesellschaften mit berücksichtigt. Der Westen hatte nämlich für die Bürger des Ostblocks immer eine fast magische, irrationale Anziehungskraft, wobei er als ein mystischer Raum der absoluten Wunscherfüllung, als eine irdische Traumwelt - und dabei eigentlich als der wahre Kommunismus - erlebt wurde. Der Westen ist für den Osten ein Ort, an dem die soziale und sexuelle Verführung überwäl­tigt, wo das Leben vielleicht gefährlicher, aber dafür lebenswerter is(. Die USA liegen auch geographisch gesehen auf der Nachtseite der früheren UdSSR:

© Milan Kunc 

Die Grenze zwischen dem östlichen und dem west­lichen Militärblock war auch die Grenze zwischen Tag und Nacht, Realität und Traum, Bewußtem und Unbewußtem, Repression und Lustprinzip. Deshalb hatte die Überwachung dieser Grenze für den Osten eine solch absolute, mythische, sinnstiftende Priorität, und ein Durchbrechen dieser Grenze versprach dem Menschen aus dem Osten auch das Erlangen einer inneren, mystischen Ganzheit.



Milan Kunc, Vitamin Attack, 2005 © Milan Kunc

Dabei entsprach dieser Traum vom Westen keineswegs nur einer antikommunistischen Gesinnung, sondern war in der offiziell herr­schenden Ideologie selbst angelegt. Das höchste und begehrteste Pri­vileg für einen osteuropäischen Funktionär bestand in der Möglich­keit, in den Westen zu reisen. In diesem Sinne war der Aufenthalt im Westen - also die Reise durch den Raum zum Rande der Nacht und nicht die Reise durch die Zeit zum Mittagslicht des Kommunismus - das wahre Telos des östlichen politischen Systems. Ost Pop von Kunc eine Untersuchung der wahren inneren Verfassung der damals in Osteuropa herrschenden Ideologie mitsamt ihrer Geheimcodes sowie des sozialen Unbewuß­ten ihrer Untertanen.


Wir räumen auf © Milan Kunc

Dieses Ziel stiftete die Einheit der kommunistisch geprägten Gesellschaften und bildete dabei die wahre Substanz des offiziellen Kollektivismus jenseits aller gesellschaftlichen Oppositionen, denn die Oppositionellen unter­schieden sich von der Obrigkeit nur durch einen von ihnen einge­schlagenen anderen Weg nach Westen, das heißt den Weg des pri­vaten Risikos und nicht den der offiziell gesicherten Karriere - aber nicht durch das Ziel ihrer Reise. Die kommunistische Ideologie kam auch selbst letztendlich aus dem Westen und sehnte sich fast unbe­wußt nach ihrem verlorenen Ursprung. Im Lichte dieser Überlegun­gen gesehen ist der Zyklus

Trophy Collector, 1990 © Milan Kunc

Anders zeigt sich freilich das gleiche Zeichenspiel von der westli­chen Perspektive aus betrachtet. Für den Westen sind Coca-Cola oder McDonald’s keine ideologischen Zeichen, die irgendwelche westlichen Werte bezeichnen. Hier besaßen - zumindest für die frei schaffende linke Intelligenzia - vielmehr rote Sterne und Fahnen so wie Hammer und Sichel eine verführerische Anziehungskraft: Sie symbolisierten gleichzeitig die drohende Gefahr einer totalen Zerstörung und die Verheißung eines ekstatischen Ausbrechens aus dn unerträglichen Monotonie des westlichen Arbeitsalltags. Wenn dei Westen für die östliche Bevölkerung einen Ort des Unbewußten bildetete, so spielte der Osten die gleiche Rolle für den westlichen Bit dungsbürger: Der Osten war genauso die Nachtseite des Westens wie umgekehrt. Indem Kunc die Symbolik dieses fernen Traums mil den für den Westen typischen entideologisierten Zeichens der westlichen Alltagskultur vermischt, beraubt er sie allerdings ihres Geheimnissen und ihrer Verführungskraft. Auf diese Weise entideologisiert sich die ideologische Symbolik und entpuppt sich als eine billige Ware, als ein Phänomen der Massenkultur, als eine Tautologie und eine Banalität, die keine Alternative zur bestehenden Ordnung in sich birgt. Hier wiederum macht Kunc die wahre Funktion dieser Symbolik sichtbar, nämlich die einer zusätzlichen ideologischen Bequemlichkeit für schlichte intellektuelle Gemüter.


Die Aufhebung der Ost-West-Dichotomie, die Kunc hier künstle­risch inszeniert und politisch voraussagt, ist freilich kein so unbe­denklicher Vorgang. Denn das Verschwinden dieser Dichotomie be­trifft auch, wie aus dem oben Gesagten folgt, die Dichotomie zwi­schen Unbewußtem und Bewußtem, Traum und Wirklichkeit, dem Anderen und dem Selbst. Der ganze ost-westliche Entspannungspro­zeß ist somit Teil der postmodernen Strategie einer Dekonstruktion der Oppositionen, ihrer Auflösung im potentiell unendlichen Zei­chenspiel, in dem jegliche fest umrissene Alternative verschwindet. Das Schicksal der Ost-West-Politik ist also dem Schicksal der Zeichen unterworfen, ihren Wechselbeziehungen von der Art, die Kunc in seinen Arbeiten inszeniert. Dieses Schicksal hat offensichtlich etwas Depressives, Auswegloses, Enttäuschendes an sich. Der Ausgleich zwischen Ost und West als eine Form des postmodernen Ausgleichs zwischen Realität und Utopie, zwischen Aufklärung und Mythos be­raubt das Leben jeglicher historischen Perspektive: Jede Fortbewe­gung wird endgültig zum Tourismus innerhalb gesicherter Grenzen.



War, 1977 © Milan Kunc

Bei Kunc fehlt aber die Depressivität, die bei anderen Künstlern in unserer Zeit so stark vertreten ist, fast vollständig. Zwar heißt eine seiner Installationen No Future Werkstatt, diese wirkt aber sehr heiter und verweist nur spielerisch auf die neue Pop-Mentalität. Eine Erklä­rung dieser Heiterkeit kann man vielleicht in der persönlichen Le­bensgeschichte von Kunc suchen. Als emigrierter Tscheche kommt er aus einem Land, das unter dem Ost-West-Konflikt schwer gelitten hat, und ist auch selbst ein Grenzgänger zwischen Ost und West. Die Zeichen der modernen Utopien und der modernen Imperialismen, wie etwa die Symbole des sowjetischen ideologischen Imperialismus und des amerikanischen Konsumimperialismus, sind Kunc innerlich liemd, er identifiziert sich psychologisch mit ihnen nicht: Sie markie­ren für ihn mehr eine europäische wie auch die eigene psychologi­sche Spaltung als eine reale historische Verheißung.

Deswegen fehlt in den Arbeiten von Kunc jene Bitterkeit, die bei amerikanischen oder sowjetischen Künstlern, die sich ebenfalls mit der Problematik der Abwertung der modernen Werte beschäftigen (wie zum Beispiel bei den Künstlern der sowjetischen Soz-Art, deren Analysen den Ar­beiten Kuncs vielfach ähnlich sind), durchaus spürbar ist.

Die Abwer­tung der trennenden Zeichen, ihre Beliebigkeit, ihre Austauschbar­keit und Vermischbarkeit werden für Kunc zu einer neuen postmo­dernen, nationalen und persönlichen Utopie, zu einem neuen Zei­chen der Grenzüberwindung und der Heilung der inneren Spal­tung. Der postmoderne Antiutopismus erweist sich somit als eine neue Utopie für diejenigen, die unter den klassischen, trennenden Utopien der Moderne gelitten haben.


© Milan Kunc

In seinem etwas früher entstandenen Zyklus Peinlicher Realismus von 1973-1977 (Abb. 32-33) hat Kunc eine Art historischer Kriegs­malerei praktiziert, die den Krieg als erhabenes und poetisches Un­ternehmen darstellte, wobei als Helden dieser Malerei deutsche und russische Soldaten füngierten. Im Porträt Stalins mit Telefonhörer (1976), das an das Bild von Salvador Dali Das Rätsel Hitlers (1937) er­innert, wirkt Stalin, indem das Telefon auch hier anstelle eines Schwertes die höchste militärische Gewalt symbolisiert, seiner übli­chen sozialistischen Ikonographie entsprechend wie ein weiser und gütiger Führer. In der Melancholischen Herbstwache (1977) wird der Nazi-Soldat als der neue germanische Held aus den Gedichten Höl­derlins gefeiert.



Hier demonstriert der Künstler die wahre Macht sei­ner Kunst, die die Mythen erst kreiert, von denen die militärische oder staatliche Macht immer innerlich abhängig bleibt. Während eine kritische, protestierende, entmythologisierende künstlerische Haltung immer nur aus einer Position der Schwäche heraus entsteht und die Vorrangigkeit der politischen Macht dadurch nur bestätigt, demonstriert die positive Kunst von Kunc die Ohnmacht des Politi­schen, das eine Legitimierung seitens der Kunst braucht, um sich be­haupten und repräsentieren zu können. Es ist die List des Künstlers, daß er dieses Bestätigungsbedürfnis am Beispiel der Mächte vor­führt, die einerseits eine große militärische und politische Über­macht erlangt haben, die aber andererseits mangels einer normalen gesellschaftlichen Legitimation eine zusätzliche Repräsentation und Glorifikation von seiten der Kunst forderten. Indem Kunc diesen Regimen aus freien Stücken eine Legitimation durch die Kunst iro­nisch gewährt, legt er auch die Mechanismen einer solchen Legitima­tion bloß.

 Der grosse Manager © Milan Kunc

Andererseits bricht hier Kunc nicht nur östliche, sondern auch ge­wisse westliche Tabus, die einen spielerischen Umgang mit solchen Themen nach Auschwitz oder nach dem Gulag verbieten wollen und nur Ehrfurcht und Pathos erlauben, und die dadurch die Kunst - freilich mit umgekehrten Vorzeichen - zwingen wollen, die patheti­sche Erhabenheit der totalitären Regime weiterhin zu praktizieren. Indem Kunc auch diese gefährlichen Zeichen in sein Zeichenspiel einbezieht, indem er auch sie ironisiert und ästhetisiert, befreit er sich selbst und den Betrachter von ihren Lasten. Auch daraus ent­steht eine fröhliche, spielerische Atmosphäre, durch die sich die Ar­beiten von Kunc allgemein auszeichnen, die aber besonders dort spürbar wird und überzeugend wirkt, wo man sie am wenigsten er­wartet.

Bilder: http://www.milan-kunc.com/

In: Kunst-Kommentare. Wien, 1997, pp. 201-207

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