sábado, 22 de junho de 2013

Die Geburt der psychoanalytischen Methode: Sigmund Freud und Martha Bernays - ‘Sei mein, wie ich mir's denke’ : Die Brautbriefe Bd. 1 (Juni 1882-Juli 1883)


Interview mit der Herausgeberin des Bandes Ilse Grubrich-Simitis

Welche Art von Beziehung verrät uns die Korrespondenz zwischen Sigmund Freud und Martha Bernays zwischen 1882 und 1883? Ist sie ein symmetrisches, ergänzendes Verhältnis, oder meldet sich schon in dieser Kommunikationsstruktur ein Rangunterschied und sogar eine Art einschleichender Unterdrückung auf der einer Seite?

Zunächst scheint es keine „symmetrische, ergänzende“ Beziehung zwischen beiden zu geben. Nicht nur war Freud ein Stück älter, zu Beginn 26, Martha Bernays erst 20. Auf den ersten Blick ist er auch der Bestimmende, der seine Braut nach seinem Bilde formen will, wohingegen sie anfangs ihren Wert unterschätzt, sich unterordnet und ihn rückhaltlos bewundert. Dies verändert sich aber schon im Laufe des ersten Bandes der insgesamt fünfbändigen Edition. Für die damalige Zeit ganz ungewöhnlich suchte und fand Freud in seiner Braut eine, wie er es ausdrückte, „Mitarbeiterin in den ernstesten Dingen“, womit der seine wissenschaftlichen Studien meinte. Als Leser werden wir tatsächlich Zeugen eines intellektuellen Dialogs. Was gleichfalls überraschend ist: die Brautbriefe dokumentieren zugleich eine tiefgehende wechselseitige éducation sentimentale. Beide wachsen aneinander. In gewisser Weise werden sie erst durch ihren tagtäglichen, überaus intensiven Briefwechsel zu Personen. Das ist vor allem Marthas Takt, ihrer Geduld und ihrer stauenswerten menschlichen Reife und Unabhängigkeit zu danken. Diese grundlegende Veränderung der Beziehung im Laufe der vierjährigen, hochgradig konflikthaften Verlobungszeit habe ich in den Titel-Zitaten einzufangen versucht. Band 1 heißt, Freuds anfängliche, zuweilen despotische Dominanz andeutend, „Sei mein, wie ich mir’s denke“. Band 5 dagegen trägt den Titel „Dich so zu haben, wie Du bist“. Diese Formulierung zeigt, daß Freud inzwischen den Wert von Martha Bernays als eigenständig denkender und handelnder Frau, die in vieler Hinsicht anders war als er selbst, begriffen hatte und, dankbar, außerordentlich hochschätzte.

2. Inwiefern spiegeln sich die Wirren der post-viktorianischen Ära in der Situation der Frauen in diesem privaten Mikrokosmos wieder?

Natürlich finden sich in den Brautbriefen vielerlei Züge des viktorianischen Zeitalters. Freud und Martha Bernays gehörten zur europäischen jüdischen Mittelschicht. Es verstand sich für beide Familien von selbst, daß für Martha Bernays keine Berufsausbildung vorgesehen war, sondern daß sie einen für den Lebensunterhalt sorgenden Ehemann finden und mit ihm eine Familie gründen, also ihr Leben als Ehefrau und Mutter zubringen würde. In den Briefen bedauerte sie es, daß man als Frau so begrenzte Ausbildungsmöglichkeiten hatte. Sie las jedoch sehr viel, darunter auch Charles Dickens. Das Wort „Sexualität“ kommt in den Brautbriefen selbst nicht vor, es gehörte damals noch nicht zur deutschen Umgangssprache. Aber auch bezüglich des gesamten Bereichs des Sexuellen ist die Korrespondenz des Liebespaars sehr diskret. Doch ist nicht nur zwischen den Zeilen, sondern durchaus auch ausdrücklich von heftiger Erregung, leidenschaftlichen Umarmungen und Küssen die Rede, zumeist im brieflichen Rückblick auf das Liebesglück während kurzer oder längerer Besuche Freuds in Wandsbek bei Hamburg, wo Martha mit ihrer Mutter und Schwester lebte. Die erotisch-sexuelle Spannung wurde von beiden erlebt, bejaht und mitgeteilt. Das Getrenntsein verbannte das Begehren jedoch über lange Phasen in den Bereich von Phantasie und Traum.

3. Welche sind die immer wiederkehrenden Themen? Judentum, zum Beispiel, war einer von ihnen?

Die Verlobten hatten sich von Anfang an vorgenommen, einander keine überschwenglichen Liebesbriefe zu schreiben, sondern „einfach Mitteilungen über unser Leben“. Infolgedessen nehmen diese Schilderungen des Lebens beider Verlobter bei weitem den größten Raum ein. Sie sollten helfen, den Abgrund der Trennung zu überbrücken. Zu den wiederkehrenden Themen gehören die verschiedenen Stufen von Freuds Ausbildung, seine Begegnungen mit bedeutenden Vertretern der Wiener medizinischen Schule und insbesondere mit dem großen Pariser Neuropathologen Jean-Martin Chacot, aber auch fesselnde Beschreibungen von Freunden und Zufallsbekanntschaften. Wir erfahren viel darüber, womit er sich damals wissenschaftlich beschäftigte und welche Arbeiten er schrieb. Wenn er reiste, gab er seiner Braut höchst anschauliche Schilderungen von Städten, Bauten, Kunstwerken. Und wir gewinnen Einblick in die bedrückende Armut seiner Herkunftsfamilie. Auch Martha gibt vielerlei lebhafte Schilderungen ihres Alltags, des gesellschaftlichen Lebens in Hamburg, ihrer ausgedehnten Lektüren. Das Judentum ist insofern immer wieder Thema als Martha einer prominenten jüdischen Familie entstammte; ihr Großvater war Oberrabbiner in Hamburg gewesen. Mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern hielt sie sich anfangs strikt an jüdische Rituale, auch an die Speisegesetze. Freud, schon damals Agnostiker, bekämpfte diese traditionelle Orientierung, was natürlich nicht bedeutete, daß er sich seinem Judentum damals wie lebenslang nicht aufs engste verbunden gefühlt hätte.

4. Freud zeigt Eifersucht von Martha? Wie drückt sie sich aus?

Um Freuds heftige Eifersuchtsanwandlungen zu verstehen, muß man sich klar machen, daß das Paar viel zu früh getrennt worden war, ehe sich durch tagtäglichen persönlichen Umgang miteinander eine stabile Vertrauensbasis hatte bilden können. Als Marthas verwitwete Mutter beschloß, mit ihren Töchtern nach Hamburg zu übersiedeln, hatten beide nur wenige Monate einander in Wien ein wenig kennenlernen können. Die meiste Zeit der vierjährigen Verlobungszeit lebten sie voneinander getrennt. Martha war, als Freud ihr begegnete, ein umschwärmtes junges Mädchen gewesen und hatte sich in Wien den Hof machen lassen. Freud hingegen hatte, seiner Arbeit hingegeben, bis dahin wenig von Mädchen wissen wollen. Seine Liebe entbrannte sofort heftig und mit größter Ausschließlichkeit, während Marthas Zuneigung sich eher langsam entwickelte. Zudem konnte sie sich in ihrem Freundskreis nicht eindeutig zu Freud bekennen, da beide beschlossen hatten, ihre Verlobung – was durchaus unüblich war – in den ersten Monaten geheim zu halten, auch gegenüber der Elterngeneration. Freuds Eifersucht richtete sich aber nicht nur auf junge Männer aus Marthas Umgebung, sondern vor allem auf ihre Familie, insbesondere auf ihre Mutter und ihren Bruder. Er forderte von seiner Braut ähnliche Eindeutigkeit und Ausschließlichkeit, wie er sie ihr entgegenbrachte. Das führte immer wieder, fast bis zum Schluß der Verlobungszeit, zu heftigen Konflikten.

5. Warum blieben sie so lange nicht veröffentlicht? Wäre „theoretisch“, als „Gedankeexperiment“ Freud mit der Veröffentlichung einverstanden?

Freud wäre mit der Veröffentlichung der Brautbriefe sicher nicht einverstanden gewesen wäre. Er war prinzipiell gegen Veröffentlichung seiner Briefe. Deshalb konnte erst nach seinem Tode damit begonnen werden, zunächst mit der Publikation seiner Briefe und Manuskriptsendungen an Wilhelm Fließ. Was die Brautbriefe betrifft, so war lange Zeit nur im engsten Familienkreis bekannt gewesen, daß sie überhaupt erhalten geblieben waren. Es handelt sich ja um den überhaupt umfangreichsten und zugleich intimsten unter den überlieferten Briefwechseln Sigmund Freuds. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als Ernest Jones mit den Vorbereitungen seiner Freud-Biographie begann, wurde von Anna Freud nach außen mitgeteilt, daß es die Brautbriefe gab. Sie wurden aber erst 1951, nach dem Tode von Martha Freud, Jones für seine Biographie zugänglich gemacht. Die Erlaubnis zur ungekürzten Veröffentlichung erteilte Anna Freud jedoch erst 1981, kurz vor ihrem Tode. Die schwierige Arbeit an Transkription und Edition hat danach viele Jahre in Anspruch genommen.

6. Was können sie schon uns über die Entwicklung der Methodologie der Psychoanalyse verraten?

Auf dem Kongreß der International Psychoanalytical Association in Mexico City habe ich kürzlich im einzelnen gezeigt, inwiefern sich tatsächlich schon in den Brautbriefen Keime späterer psychoanalytische Grundkonzepte aufzeigen lassen. Wir müssen uns vor Augen halten: dieser Briefwechsel wurde ja zehn Jahre vor den Studien über Hysterie und fünfzehn Jahre vor der Traumdeutung, sozusagen den beiden Urbüchern der Psychoanalyse, geschrieben. Beide Brautleute beschäftigen sich von Anfang an mit ihren Träumen sowie mit Deutungen dieser Träume, allerdings noch im traditionellen Sinne des neunzehnten Jahrhunderts, d.h. den Sinn des Traums zu erraten, ausgehend vom manifesten Traumtext nach Art eines Puzzles. Es fehlt noch die unbewußte Dimension, die Beachtung des latenten Trauminhalts. Ganz wichtige intellektuelle Anregungen gehen von Martha aus. Es sind ihre Briefen, in denen mehrfach der Ausdruck „unbewußt“ steht, und zwar durchaus im präpsychoanalytischen Sinne. Einmal beschreibt sie sogar an sich selber den Vorgang einer unbewußten Identifizierung mit ihrem Bräutigam. Ferner finden sich in den Briefen prägnante Vorformulierungen des psychoanalytischen Begriffs „Trieb“. Mancherlei Züge der psychoanalytischen Methode der freien Assoziation und des psychoanalytischen Behandlungssettings lassen sich aufzeigen, entwickelt ganz direkt im Umgang der beiden miteinander: die hohe Frequenz und Verlässlichkeit des Kontakts, die Verpflichtung, Mitteilungen nicht zu zensurieren, sondern wahrheitsgemäß zu sagen, was einem gerade durch den Kopf geht, die sich selbst gegenüber schonungslose Bereitschaft zu Introspektion. Obgleich sich beide noch der herkömmlichen Instrumente der Selbsterkenntnis bedienen, haben viele dieser ungemein intensiven Briefe bereits selbstanalytischen Charakter.

7. Welche sind die rhetorischen und stilistischen Merkmale dieser Briefe auf beiden Seiten?

In den großen Rezensionen von Band 1 wurde immer wieder betont, daß es sich bei den Brautbriefen um „ganz große Prosa“ handele. Viele dieser Briefe gehören ohne Zweifel zur Brief-Weltliteratur. Zur Überraschung gilt dies aber keineswegs nur für Freuds Briefe. Es gibt Briefe von Martha Bernays, die an stilistischer Finesse den Freudschen gleichrangig sind. Freud hat, dies klar erkennend, seine Braut als „Schriftstellerin“ bezeichnet. Im Unterschied zu seinem stets hochgespannten sprachlichen Gestaltungswillen, gab sie sich allerdings erklärtermaßen keineswegs bei jedem Brief die gleiche Mühe. - Wir sollten uns an dieser Stelle vor Augen führen, zu welchem historischen Moment die fünfbändige Edition der Freud-Bernaysschen Brautbriefe erscheint. Es besteht Einvernehmen darüber, daß angesichts der neuesten kommunikationstechnologischen Innovationen das Briefeschreiben als kulturelle Technik voraussichtlich in Bälde verschwinden wird. Wenn ein junges Paar heute eine vieljährige Trennung zu überstehen hätten, würden beide twittern, bloggen, skypen oder ihre iPhones benutzen. Man kann mit ziemlicher Sicherheit behaupten, daß ein Briefwechsel von der Dichte und Tiefe des hier vorgelegten in Zukunft nicht mehr neu entstehen könnte. Zugleich führen uns Die Brautbriefe vor Augen, was für eine einzigartig authentische historische Quelle Privatbriefe sind. Das ausgehende neunzehnte Jahrhundert, die Entstehungszeit der Psychoanalyse, spiegelt sich in unzähligen Facetten in ihnen wider. Das war für uns ein zusätzliches Motiv, dieses einzigartige Dokument ungekürzt zu veröffentlichen.

Frau Grubrich-Simitis, wir danken Ihnen für dieses Gespräch

September 2011

Sigmund Freud/Martha Bernays: Die Brautbriefe. Band 1. ‘Sei mein, wie ich mir's denke’ edited by Gerhard Fichtner, Ilse Grubrich-Simitis and Albrecht Hirschmüller (Frankfurt a. Mein: Fischer, 2011; 628 pp)

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